Ein neues Wort?

Neulich, vor ein paar Tagen – wir schreiben heute den 7. Januar 2021 – habe ich in einem Gespräch einen dieser relativ neuen Begriffe wie „Maskenverweigerer“ oder „Corona-Leugner“ oder irgend so etwas benutzen wollen; ich weiß es schon gar nicht mehr. Stattdessen ist mir ganz unabsichtlich „Demokratieverweigerer“ herausgerutscht – ein neues Wort, passte aber prompt und vielleicht sogar besser, als das ursprünglich beabsichtigte Wort.
So neu war es aber garnicht, wie ich zunächst glaubte. Eine Eingabe in einer Suchmaschine förderte diverse Erwähnungen zutage (einige davon übrigens recht interessant!).
Spätestens die neuesten Entwicklungen in den USA haben der Wortschöpfung nun zu gültiger Wahrheit oder vielleicht besser wahrhaftiger Gültigkeit verholfen. Auch in Deutschland gibt es leider mittlerweile eine wachsende Anzahl Menschen, die in kollektiven Wahnvorstellungen, in exklusiven Parallel-Welten leben. Allerdings zeigt sich die Problematik in den USA besonders deutlich, zumal die „Realitätsverweigerung“ (s. ggf. auch https://de.wikipedia.org/wiki/Eskapismus) vom noch amtierenden Präsidenten angeführt, provoziert und vorgelebt wird – und von annähernd der Hälfte der Wähler in Wort und Tat angenommen wurde.

Eine Freundin konstatierte anläßlich des neuesten Geschehens in den USA, daß „Demokratieverweigerer“ die Demokratie eigentlich nicht verweigern (… können, implizierterweise), weil sie nicht einmal deren Grundprinzipien kennen.
Touché – kann ich dazu nur sagen.
Die Leute scheinen mir Glaubenssätze, die ihnen von Demagogen wie Donald Trump eingeimpft (!) werden – aber auch von viel kleineren, provinzielleren Figuren, wie wir sie hier in Deutschland haben – sehr direkt im Kern ihrer Persönlichkeit anzuordnen. Sie wirken daher oft wie „gehirngewaschen“ und in der Tat bekommen sie durch die Ideologie eine neue, aufgewertete Identität mit einem verbesserten Selbstwertgefühl – ein bekannter, zentraler Vorgang in der Psychologie von Sekten. Ein weiterer, den ich hier nicht unerwähnt lassen möchte, ist die sukzessiv verschärfte Trennung zwischen „innen“ und „außen“ – also die Verlagerung psychosozialer Bezüge in die Gruppe mit entsprechender Abgrenzung zur „Außenwelt“ jenseits der Gruppe. Zum Verständnis der Dinge finde ich es daher sehr lohnend, ein wenig Sektenpsychologie zu studieren (siehe z. B. https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/sekte/13818 u. a.). Das erklärt einiges an der starrsinnigen Beharrlichkeit, mit der eine Gruppierung an Realitäten festhält, die längst objektiv widerlegt sind – so, als würde ein Geisterfahrer auf einer Autobahn seinerseits alle entgegenkommenden Autofahrer als Geisterfahrer wahrnehmen.

Ich las heute morgen über einen „Tweet“ von einer Krankenschwester aus South Dakota/USA, die dort in einer Intensivstation arbeitet, daß es unter den sterbenden Patienten immer mehr bekennende Corona-Leugner gäbe. Die sterben also tatsächlich an Corona im Bewußtsein, daß Corona nicht existiere und sagen vor dem Exitus letzte Worte wie „this can´t happen“ und „this is not real“ …:
https://www.tagesschau.de/ausland/coronavirus-leugner-usa-101.html

Das zeigt die enorme Starrsinnigkeit der entsprechend realitätsentrückten Menschen und weckt in mir allerhand Zweifel, ob zumindest eine potentiell staatsgefährdende Anzahl (Mehrheit?) solcher Leute noch einmal einen Weg in die allgemeine Wirklichkeit zurückfindet.
Das Hauptproblem scheint mir darin zu liegen, daß die Menschen in den USA und zunehmend auch in Europa bereits in sehr unterschiedlichen „medialen Ökosystemen“ leben. Trump hat seine Anhänger systematisch gegen demokratische Medien aufgewiegelt und auch hierzulande wird seit langem von Verschwörungsmythen-Anhängern und radikalen Rechten insbesondere gegen öffentlich-rechtliche Medien gehetzt. Offenbar ist das Gros der „Demokratieverweigerer“ daher für objektive, bewiesene Fakten nicht zugänglich und somit bereits jetzt praktisch nicht mehr erreichbar.

Ich frage mich zum wiederholten Mal, warum Ideologien, die sich durchsetzen können, so gut wie immer reaktionär sind.
Schwierige Zeiten, jedenfalls.
Wie irrsinnig das alles schon ist …
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Hier zum Ausgleich noch ein humoriger Beitrag mit heute im Netz kursierenden Bildchen (weil Humor ja ist, wenn man trotzdem lacht):
https://www.basswort.de/wp-content/uploads/2021/01/us-gov-20210107.jpg
Ein Kollege hatte dazu angemerkt: vielleicht hätte man wenigstens mal schnell die drei Polizisten, die in Deutschland den Reichstag verteidigt haben, nach Washington rüberfliegen sollen?
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Nachtrag vom 08.01.2021: wir wissen auch hier in Europa, daß der Präsident der USA gleichzeitig der Oberbefehlshaber der Nationalgarde ist (D. C. National Guard); er hatte diese Zuständigkeit aber aktuell an seinen Verteidigungsminister delegiert.
Biden sagte zu dem Thema: „Niemand kann mir sagen, daß wenn gestern eine Gruppe von „Black Lives Matter“-Demonstranten protestiert hätte, sie nicht sehr, sehr anders behandelt worden wäre.“
Das klingt nach begründeter Hoffnung auf eine, sagen wir, Wiedergenesung der US-amerikanischen Gesellschaft, aber wir wissen auch, daß die von ihrem psychisch kranken, noch amtierenden Präsidenten Donald Trump betriebene Spaltung sehr tief geht. Eine schwere Aufgabe für den neuen Präsidenten.
Alles Gute für Ihre Präsidentschaft, Mr. Biden!

(Beitrag zuletzt überarbeitet am 12.01.2021)

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2 Kommentare

  1. Hi Johannes, was du schreibst gefällt mir gut. Das Wort „lohnenswert“ gibt es nicht, und gäbe der Duden es frei, ergösse sich ein gewaltiger Shitstorm über ihn…etwa mit folgender Tendenz: da hat einer LOBENSWERT im Ohr und extrapoliert das. Oder: das Wort bildet einen semantischen Pleonasmus. Wie wert ist etwas, dass es sich zu lohnen wert ist? Alles, was etwas wert ist, lohnt sich ohnedies….

    1. Hey WÖ – danke für den lobenswerten 🙂 nein: brillianten Kommentar. Ich finde jetzt auch: „lohnend“ hätte genügt (und war´s natürlich auch, was ich eigentlich sagen wollte). Danke für Deine sehr geschätzte Aufmerksamkeit!

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