Fiebrige Trivialität

Das Wort gefiel mir und brachte mich zum spontanen Nachdenken über Merkmale des aktuellen Zeitgeistes.

An der Stelle des nicht ganz leicht, aber dennoch höchst spannend zu lesenden Buches von Stephen Greenblatt ¹) geht es allerdings um das größtenteils tragische Schicksal antiker Bibliotheken etwa zu Beginn des vierten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung.

Mit dem Verfall der spätrömischen Republik ging der Niedergang eines – auch und sowieso – aus heutiger Sicht schier unglaublich entwickelten geistigen Lebens, einer geistigen Hochkultur einher.
Wie ich bei der Gelegenheit lernen mußte, hatte die christliche Kirche einen wesentlichen Anteil an diesem Niedergang. Sie war im Verlauf der „Konstantinischen Wende“ von blutiger Verfolgung zur faktischen Staatsreligion erhoben worden (dies gegen Ende des vierten Jahrhunderts durch Kaiser Theodosius I.). Christliche Kirchen-Patriarchen begannen, ihre rivalisierenden Ideologien mit Diplomatie, Intrigen und Gewalt durchzusetzen und dehnten ihre Machtbereiche aus – ganz im Stil gewöhnlicher Diktatoren. Blutige Verfolgungen betrieb man nun selbst; Zuwiderhandlungen gegen die eigene Lehre ließen sich wie immer und überall ohne Zögern übergehen, verdrängen, umdeuten.
Es offenbart sich einmal mehr, daß der Mensch so geartet ist – ein „Primat“ eben; die „Sapientia“ (lateinisch: Weisheit) hat auch damals nicht ausgereicht, gegen das ererbte Instinktprogramm zu siegen – ebensowenig wie zu allen Zeiten inclusive der heutigen …
Dafür kann, meine ich, Kyrill von Alexandria als Beispiel herhalten: er war unter anderem ein Anführer marodierender Horden christlicher Fanatiker. Die katholische wie die griechisch-orthodoxe Kirche verehren ihn gleichwohl bis heute als bedeutenden „Kirchenvater“, als Heiligen gar und widmen ihm Gedenktage.
Der Mord eines von Kyrill aufgehetzten Mobs an der berühmten Philosophin Hypatia – obendrein in einer annektierten christlichen Kirche – gilt als „Totengeläut für eine ganze geistige Tradition“ ¹).

Greenblatt erwähnt den Historiker Ammianus Marcellinus (330 – 400) folgendermaßen:

Zu den Überfällen der Barbaren oder zum christlichen Fanatismus findet sich bei Ammianus kein klagendes Wort. Natürlich waren auch sie beteiligt, bilden den Hintergrund des Übels, das ihm so bedeutsam erscheint. Was er mit dem Verfall des Imperiums jedoch vordringlich festhält, ist der Verlust der kulturellen Verankerung, der Abstieg in fiebrige Trivialität.

Er zitiert aus Ammianus′ Werk ²):

Infolge dieser Verhältnisse sind die wenigen Häuser, die früher wegen ernsthafter Pflege der Wissenschaften berühmt waren, jetzt erfüllt von Spielereien und einer langweiligen Untätigkeit und hallen wider vom Gesang und seichtem Geklimper der Saiteninstrumente. Schließlich holt man statt des Gelehrten einen Sänger und statt des Redners einen Possenreißer als Lehrer zu sich. Die Bibliotheken sind wie Grabmäler für immer geschlossen; man läßt Wasserorgeln bauen oder riesige Leiern vom Ausmaß eines Wagens …

Weiter mit Greenblatt:

Und nicht nur das: wie er verärgert feststellt, rasen die (Wagen) auch noch mit aberwitziger Geschwindigkeit durch die belebten Straßen Roms, wo niemand mehr ein Maß findet.

So viel hier einmal zur Dekadenz der späten römischen Republik.
Daß Greenblatt spätestens an dieser Stelle weiteres Nachdenken über „Heutiges“ unausgesprochen impliziert hat – „by the way“, sozusagen – würde ich nicht ausschließen. Mich hat es jedenfalls dazu inspiriert und so möchte ich diese Notiz weitergeben – natürlich mit guten Wünschen und vor allem der unbedingten Empfehlung der weiteren Lektüre von Greenblatts Buch.

P. S. Ich habe das Buch über eine Empfehlung des Journalisten Denis Scheck gefunden, auf dessen Rezensionen ich einigen Wert lege.

Fußnoten:
¹)  Stephen Greenblatt, Die Wende – wie die Renaissance begann, Siedler Verlag, 2011
²) Ammianus Marcellinus, Römische Geschichte, 14. Buch, 6:18 (Seite 77).

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