Das Wort ist mir zum ersten Mal in den frühen 1980er Jahren in der südwestdeutschen Jazz-Szene begegnet.
Der damalige „Insider-Slang“ der ziemlich kleinen gesellschaftlichen Nische der Jazzmusiker in Deutschland enthielt so einige von diesen amerikanischen Ausdrücken, die anderswo zunächst noch nicht gebräuchlich waren – zumal die einzelnen „Musik-Szenen“ in Europa noch wesentlich stärker voneinander separiert waren (dies ganz im Unterschied übrigens zu entsprechenden gesellschaftlichen Verhältnissen in den USA).
In der Rock-Szene der 1970er Jahre war ebenfalls allerhand spezifischer Insider-Slang verbreitet – beispielsweise der Ausdruck „Mucke“ in allgemeiner Verwendung für Musik, aber eben auch insbesondere für Rock und diverse noch recht neue Mischformen (Folk-Rock, Jazzrock u. a.). Zumindest war das in meiner niedersächsischen Heimatregion so. Man konnte beispielsweise so etwas sagen wie „die Mucke törnt echt an“ oder „astreine Mucke“ (wenn sie einem denn gefiel, die Mucke). Man sagte auch „wir machen Mucke“, wenn man in einer Band spielte; eine befreundete seinerzeitige Band trug den vielsagenden Namen „Muckefuck“. Interessanterweise habe ich die „Mucke“ in der 1980er Jahren in der Orchestermusiker-Szene wiedergefunden, allerdings in der veränderten Bedeutung von einem einzelnen Engagement (ggf. außerhalb der Orchester-Anstellung) zu einer konzertanten Aufführung in einem freien Ensemble – das ein festes wie auch ein mehr oder weniger frei und ad hoc zusammengestelltes Ensemble sein konnte. In der Jazzmusiker-Szene gab es dafür das Wort „Gig“; manchmal, wenn es sich eher um einen Art musikalische Dienstleistung handelte, war es auch schlicht ein „Job“.
Die Popularität des Jazz hierzulande gründete sich natürlich auf den großen Einfluß praktisch der gesamten US-amerikanischen Kultur und besonders den des Radiosenders AFN nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges – letzterer war allerdings regional einigermaßen begrenzt auf die amerikanischen Besatzungsgebiete insbesondere in Süddeutschland und West-Berlin.
Der Bedarf an Live-Musik war im „Radio-Zeitalter“ sowieso deutlich höher und die Anzahl an Jazzmusikern und entsprechenden Bands deutlich geringer (seither haben sich die Verhältnisse so gut wie umgekehrt). Jazz war ja – zumindest bis zum Aufkommen des Rock´n´Roll gegen Ende der 1950er Jahre – die Jugend-Musik, also die Pop-Musik der jungen Generation, denn nach dem Ende des Krieges und der Nazi-Diktatur waren deutsche Volkslieder unter jungen Leuten weitgehend verpönt. Außer dem Volksliedgut – und eben Jazz – gab es ja praktisch nur Operetten und Schlager sowie eine in der Nachkriegszeit neu entstandene Mischform aus Volkslied und Schlager in Form von „Heimatliedern“ (spöttisch auch sogenannter Heimat-Schnulzen) – aus der sich das Genre entwickelt hat, das man heutzutage volkstümliche Musik nennt. Man traf sich im Jazzclub – nicht zuletzt zum Tanzen auf swingenden Rhythmen, die natürlich viel mehr Musikhörer als heutzutage mitempfinden konnten.
Der inspiratorische Einfluß auf europäische Jazzmusiker war immens und natürlich ist auch der Sprachgebrauch amerikanischer Jazzmusiker entsprechend kopiert worden. Schnell waren Begriffe wie „Cool“ oder „Swing“ (insbesondere eingedeutscht als Verb „swingen“) und Fachtermini wie „Groove“, „Riff“, „Chorus“ oder „Bridge“ gebräuchlich. Allerdings ist der Ausdruck „hip“ in meiner Wahrnehmung noch immer das einzige Wort, das über jazz-spezifische Fachbegriffe hinausgeht und das eine mit der Musik – ursprünglich eben dem SWING – verbundene allgemeine Lebensphilosophie, grundsätzliche Einstellungen und Geisteshaltungen beschreibt; hier einmal abgesehen vom adjektivischen „cool“, das außer für die entsprechende Spielweise eher für ein unaufgeregtes, vielfach auch vertrauenswürdiges Betragen gebraucht wurde.
Als simultan gebräuchlicher Gegensatz zu „hip“ fungierte in den USA der Begriff „square“, der jedoch von der hiesigen Jazz-Szene nicht übernommen wurde. Dafür wurde das bereits vorhandene Wort „zickig“ verwendet, womit „square“ quasi eingedeutscht war.
Das seinerzeit aktuelle Szene-Wort „Zickendraht“ ist ein aus „zickig“ intuitiv substantiviertes Synonym für einen Jazz-Musiker, der nicht gut, also nicht „swingend“ und damit eben auch nicht „hip“ spielte – rhythmisch hart, kantig, linkisch, steif usw. – und somit „zickig“ phrasierte. Simultan konnte mit „Zickendraht“ auch die entsprechende Spielweise selbst gemeint sein (z. B. „… er/sie spielt einen furchtbaren Zickendraht zusammen“).
Die im weiteren Sinne marsch- und polka-ähnliche Rhythmik mit ihren betonten sogenannten schweren Taktteilen auf „eins“ und „drei“, mit der man üblicherweise in Mitteleuropa musikalisch sozialisiert ist, steht hier dem afrikanischen Element der Betonungen auf „zwei“ und „vier“ gegenüber. Das Empfinden dafür kann man zwar durchaus lernen, allerdings sind dem auch gewisse Grenzen gesetzt. Hierzulande können viele Leute – Musikausübende wie Publikum – den Rhythmus nicht empfinden; in den USA, wo die Musik stärker verwurzelt ist, sind es deutlich mehr. Man merkt es bekanntlich am Unterschied, ob jemand zu swingender Musik z. B. mit den Fingern auf „zwei“ und „vier“ schnipsen oder einen Fuß bewegen kann oder nicht. You´ll know when You get there …
Wie viele andere Ausdrücke – zum Beispiel die Redewendung „(es ist) angesagt“ aus den 1970er Jahren – ist das Wort „hip“ etwa ab den späteren 1990er Jahren in die Jugendsprache und dann in einen allgemeinen Sprachgebrauch übernommen worden; nach meiner Beobachtung also noch nicht in den 1970er Jahren, wie es der „Spiegel“ in diesem Artikel vom 02.06.2008 behauptete. Daß es dabei zu einem gewissen Bedeutungswandel kommen kann, wurde schon weiter oben am Beispiel „Mucke“ deutlich. Die vormalige, deutlich vielschichtigere Bedeutung von „hip“ hat sich im Verlauf der allgemeinen Verbreitung allerdings weitgehend verflacht und ist mittlerweile auf fast bedeutungsgleiche Ausdrücke der Jugendsprache wie „angesagt, schick, trendy“ oder auch „geil“ reduziert. Allerdings verliert das Wort in den letzten Jahren innerhalb der Jugend bereits wieder etwas an Popularität, während es in der Yuppie-Szene einige aktuellere Verbreitung gefunden hat. Ich meine, Yuppies bedienen sich seit jeher gern einiger (meist dann schon nicht mehr so aktueller) Ausdrücke aus der Jugendsprache, um jugendlich „cool“ zu wirken, was in den meisten Fällen natürlich zum Ziel hat, sich in szene-typischem narzißtischen Hedonismus über die eigenen Alterserscheinungen hinwegzutäuschen. Außerdem paßt es gut zum ebenso szene-spezifischen, ausgeprägten Marken-Wahn, weil sich damit Labels als „en vogue“ bezeichnen lassen. Genug davon.
Einen kleinen Aufsatz über den Begriff „hip“ hatte ich auf meiner Home Page in 2009 im Schlußwort bzw. Anhang eines Textes über die „Akquise von Auftrittsmöglichkeiten“ veröffentlicht. Da es im modernen Lexikon „Wikipedia“ zunächst keine Erwähnung zu „hip“ gab, habe ich den Text gleich noch in einen entsprechenden Artikel umgeformt und (der deutschen Version von) Wikipedia zur Verfügung gestellt, wo er mit relativ kleinen redaktionellen Veränderungen noch immer zu finden ist.
Nebenbei sei bemerkt, daß „Wikipedia“-Einträge im Lauf der Zeit und in mehr oder weniger gegebenen Fällen der relativ rigorosen Bearbeitung eines Kreises von Redakteuren („Administratoren“) unterliegen und so kommt es vor, daß Artikel je nach Gusto umgeschrieben, zusammengestrichen oder auch mitunter gelöscht werden. In diesem Fall ist der Artikel, wie gesagt, aus meiner Sicht recht glimpflich davongekommen – ja, in ein paar Punkten durchaus verbessert worden. Daher möchte ich auch an dieser Stelle noch einmal auf die heutige, aktuelle Version hinweisen: hip (Adjektiv).
Im englischsprachigen Wikipedia ist übrigens dieser interessante Artikel Hip – Slang hinzugekommen (so weit erkennbar, war das in 2012). Daran sowie am ebenfalls interessanten Artikel über „Hipster“ habe ich nun meinerseits noch ein bißchen „mitgebastelt“.
„Hip“ ist, wie ich finde, eigentlich ein starker Begriff und hat mich jedenfalls zu einiger Reflexion inspiriert.